Corona sorgt für Boom bei Supply Chain Finance

Die Coronakrise hat zu einem regelrechten Run auf Supply-Chain-Finance-Angebote geführt. Fintechs und Banken wittern Chancen auf Neugeschäft. Doch wie nachhaltig ist der Boom?

Dieser Artikel ist erschienen auf: Finance Magazin, Juli 2020.

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Für den Logistikkonzern Schenker hätte das Timing kaum besser sein können: Die Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn hat Ende vergangenen Jahres damit begonnen, ein Reverse-Factoring-Programm aufzubauen. „Schon vor Ausbruch der Coronakrise hatten wir von einigen unserer Lieferanten Anfragen erhalten, ob wir unsere Rechnungen nicht vorfällig zahlen können“, berichtete Björn Götsch, Vice President Global Finance kürzlich in einem Webinar mit der FINANCE Schwesterpublikation DerTreasurer.

Die durch das Coronavirus ausgelösten Liquiditätsengpässe bei einigen Lieferanten hätten die Nachfrage aber noch einmal gesteigert, so der Finanzer: „Das ist ein Auftrag an uns, das Programm jetzt schnell auszurollen.“ Stand Anfang Juni waren etwa 1.000 der insgesamt 30.000 Schenker-Lieferanten an die Plattform angebunden. Davon nutzten Schätzungen des Finanzleiters zufolge etwa 70 bis 80 Prozent das Angebot, sich frühzeitig bezahlen zu lassen.

Schenker ist kein Einzelfall, auch andere Großkonzerne stehen seit Wochen vor der Herausforderung, dass bei ihren Lieferanten das Cash knapp wird. „Wir erleben derzeit einen regelrechten Run auf Supply-Chain-Finance-Lösungen. Aber auch gut geratete Unternehmen profitieren von einem Verkauf ihrer Forderungen, da sie so ihr Working Capital weiter verbessern“, berichtet Sabrina Priester, Leiterin des Teams Working Capital Solutions für Deutschland und Österreich bei der ING. Der Grund liegt auf der Hand: Vor allem auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie waren viele Lieferketten gestört oder gar unterbrochen. Jetzt brauchen viele Firmen dringend Liquidität, um ihre Produktion wieder hoch zu fahren.

„Gerade für kleine und mittelständische Lieferanten liegt es dabei nahe, die oftmals bessere Bonität ihrer Kunden zu nutzen, um sich frische Mittel zu beschaffen“, so Priester. Nicht selten kämen Lieferanten direkt auf die Bank zu und fragten, ob es für einen bestimmten Schuldner bereits Reverse-Factoring-Programme gebe. „Vor allem aus der Automobilbranche, der Metallindustrie und dem Handel erhalten wir derzeit sehr viele Anfragen.“ Insgesamt seien die Limit-Ausnutzungen der Lieferantenfinanzierungslinien bei der ING zuletzt deutlich gestiegen.

Info: Supply Chain Finance

1. Dynamic Discounting
Bei dieser Variante nutzen die Unternehmen ihr eigenes Cash, um Rechnungen frühzeitig zu bezahlen. Im Gegenzug erhalten sie dafür Preisnachlässe von den Lieferanten. Derzeit kommt diese Spielart des SCF seltener zum Einsatz, da die Unternehmen ihre Liquidität zusammenhalten. Die großen Einzelhandelsketten wie Aldi, Lidl und Co. setzen dem Vernehmen nach allerdings weiterhin stark auf Dynamic Discounting.

2. Reverse Factoring
Hier springt ein Investor oder eine Bank als Zwischenfinanzierer ein. Er bezahlt den Lieferanten vorzeitig, wobei sich das Pricing an der Bonität des Schuldners orientiert, da dieser ihn am Ende des Zahlungsziels ausbezahlt. Mit dieser Variante können die Unternehmen auch selbst ihr Working Capital verbessern – wenn sie die Zahlungsziele bei ihren Lieferanten als Folge der SCF-Einführung verlängern.

3. Verbriefung
Bei dieser Unterform des Reverse Factoring werden offene Rechnungen eines Unternehmens gegenüber vielen Lieferanten gebündelt. Es entsteht ein handelbares Wertpapier mit zwei bis drei Monaten Laufzeit, je nach Zahlungsziel der Lieferanten.

4. Banken versus Fintech
Unternehmen können ihre Lieferantenfinanzierungen direkt mit einer (oder mehreren) Banken verhandeln. Seit einigen Jahren bieten Fintechs aber auch Plattformlösungen an, an die mehrere Banken und Investoren als Zwischenfinanzierer angeschlossen werden. Hier übernimmt das Fintech oftmals administrative Aufgaben für das Unternehmen, verlangt dafür aber auch eine zusätzliche Gebühr.

Fintechs wickeln mehr SCF-Finanzierungen ab

Eine hohe Nachfrage erlebt seit einigen Wochen auch das Fintech CRX Markets, über dessen Plattformen Unternehmen wie Nestlé, Daimler und die Lufthansa ihre SCF-Programme abwickeln. „Immer mehr Lieferanten interessieren sich für neue Supply-Chain-Finance-Programme und wollen auf unserem Marktplatz zugelassen werden“, sagt Frank Lutz, CEO und Miteigentümer des SCF-Fintechs CRX Markets. Bereits aktive Markteilnehmer würden das Finanzierungsvolumen „fortlaufend erhöhen“. Dadurch habe sich das über die Plattform abgewickelte Volumen in den ersten vier Monaten im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. Absolute Zahlen wollte Lutz allerdings nicht nennen.

Bei Taulia – die Plattform, mit der Schenker zusammenarbeitet – ist die Programmnutzung laut Deutschland-Vertriebsleiter Mirco Roeben seit Ausbruch der Krise um 40 Prozent gestiegen. Absolute Zahlen bleibt jedoch auch das ursprünglich aus den USA stammende Fintech schuldig. Der Markt für SCF ist generell intransparent. Es gibt kaum belastbare Statistiken über Volumina und Preise.

SCF-Implementierung dauert mehrere Monate

Der Trend ist indes klar: Immer mehr Lieferanten interessieren sich in Folge von Corona für Supply-Chain-Finance – und zugleich scheinen immer Unternehmen nun auch gewillt zu sein, diesem Wunsch nachzukommen. Bis zuletzt scheuten viele Firmen den Aufwand, der mit der Einführung eines solchen Programms einhergeht. Dieser reicht von der Auswahl eines Anbieters und den Konditionsverhandlung mit der Bank über die Lieferantenansprache und das Onboarding bis hin zur Integration der Lösung in IT-Systeme.

Entsprechend kann die Einführung eines solchen Programms schnell mehrere Monate dauern – je mehr Lieferanten und je mehr ERP-Systeme, umso länger kann sich die Einführung hinziehen. Daher taugt Lieferantenfinanzierung auch nur bedingt als kurzfristiges Kriseninstrument, betont ING-Bankerin Priester: „Mittelfristig wird das Instrument weiterhin an Bedeutung gewinnen.“

Denn bei vielen Großkonzernen – so die Hoffnung der Banker und Fintech-Vertreter – hat Corona die Relevanz von SCF verdeutlicht. Zum einen können die Unternehmen mit der Einführung solcher Programme für mehr Stabilität in der Lieferkette sorgen. Zum anderen können sie so auch selbst ihr Working Capital optimieren.

Factoring fällt mangels Forderungsvolumen aus

Das dafür weiter verbreitete Instrument – das Factoring – stand einigen Unternehmen während der Krise nicht zur Verfügung, weil es schlicht keine Forderungen gab, die hätten verkauft werden können. Daher verschob sich der Fokus in Sachen Working Capital Management zwischenzeitlich auf die Payables-Seite, wie Banker berichten.

Mit Blick auf die Konditionen zeigen sich die Befragten recht zugeknöpft, nur so viel: „Bei einer Ratingverschlechterung auf Kundenseite unterziehen wir das Pricing einer Prüfung und passen es gegebenenfalls an“, sagt ING-Bankerin Priester. Man schaue sich die Programme deshalb sehr genau an. „Wenn der Kunde ein gleichbleibendes Rating hat, ist der Corona-bedingte Aufschlag in vielen Fällen überschaubar.“

CRX-CEO Lutz kann ebenfalls keine grundsätzliche Veränderung der Finanzierungsbereitschaft feststellen: „Der kurzzeitige Trend deutlich gestiegener Konditionen ebbt bereits wieder spürbar ab.